Rezension: Alias Grace / Margaret Atwood
Wenn ich gehorsam genug und still genug bin, lassen sie mich vielleicht irgendwann gehen; aber es ist nicht leicht, still und gehorsam zu sein, es ist, als hinge man am Rand einer Brücke, von der man heruntergefallen ist; man scheint sich nicht zu bewegen, man baumelt einfach nur da, und doch raubt es einem die Kraft.
Titel: Alias Grace | Originaltitel: Alias Grace | Autor: Margaret Atwood | Übersetzer: Brigitte Walitzek | Verlag: Piper | Erscheinungstermin: 02.10.2017 | Seitenzahl: 624
Toronto, 1843: Das junge Dienstmädchen Grace wird mit sechzehn des Doppelmordes an ihren Arbeitgebern schuldig gesprochen. In letzter Sekunde wandelt das Gericht ihr Todesurteil in eine lebenslange Gefängnisstrafe um. Sie verbringt Jahre hinter Gittern, bis man sie schließlich entlässt. Im Haushalt des Anstaltdirektors begegnet sie dem Nervenarzt Simon, der ihrer Geschichte auf den Grund gehen will: Ist Grace eine gemeingefährliche Verbrecherin oder unschuldig? Margaret Atwood hat einen Roman von hypnotischer Spannung geschrieben, der die Geschichte einer realen Gestalt, einer der berüchtigtsten Frauen Kanadas erzählt.
Tatsächlich habe ich noch nie ein Buch der Autorin gelesen und dass es ausgerechnet Alias Grace werden würde, damit habe ich auch nicht gerechnet. Irgendwie hat mich das Buch einfach angelacht – und kaum habe ich die ersten Seiten gelesen, konnte ich es auch nicht mehr aus der Hand legen.
Ein langer Vorlauf
Wie der Titel schon verrät, geht es in dieser Geschichte um Grace, ein damals 16 jähriges Mädchen, für das alles anders kam als erwartet. Nun findet sich der Leser im Gefängnis wieder – doch was ist passiert?
Durch verschiedene Perspektiven soll nicht nur die wahre Tat der Straftäterin ans Licht geführt werden, sondern vielmehr auch ihr Leben beleuchtet werden.
In den Rückblenden durchlebt man Grace Vergangenheit und bekommt einen ganz eigenen Blick auf die Geschehnisse. Detailreich und ungestüm wird hier berichtet, wie ein junges Mädchen eine Flucht in ein anderes Land übersteht, nur um dann an ihr Ende zu kommen.
Davon abgesehen werden aber auch noch Zeitungsausschnitte, medizinische Gutachten und Verurteilungen mit in die Geschichte eingebracht, die das Bild vervollständigen. Zwischenzeitlich war es mir fast ein bisschen zu viel, da es mich immer wieder von der eigentlichen Geschichte abgelenkt hat.
Denn auch, wenn eine gewisse Ruhe von diesem Buch ausgeht, so will man als Leser doch unbedingt hinter das Geheimnis kommen. Denn schließlich dreht es sich hier nicht „nur“ um eine Romanhelding, sondern vor allem um eine reale Persönlichkeit.
Es hat etwas von einer kleinen Zeitreise – auf zum Toronto des 19. Jahrhunderts!
Allerdings sollte man sich diesen Ausflug nicht zu spaßig vorstellen, es gibt genügend Sitten und Bräuche, von denen ich unglaublich froh bin, sie in der heutigen Zeit nicht mehr zu kennen. Doch gerade was Straftaten und deren Konsequenzen angeht, bekommt man hier noch einmal etwas ganz anderes vorserviert.
Dass die Emanzipation noch nicht wirklich fortgeschritten ist, muss wohl nicht erwähnt werden und so hat die Geschichte auch schon fast ihren Anfang genommen…
undurchschaubar – unberechenbar
Mir ist es selten so schwer gefallen, einen Charakter einschätzen zu können. Grace war für mich einfach undurchschaubar. Kaum habe ich Mitgefühl mit ihr gehabt, war ich auch schon wieder verunsichert mit meiner Einschätzung. Der junge Nervenarzt Simon, der sich ihrer angenommen hat, gestaltet das Ganze nicht einfacher.
Wobei ich auch sagen muss, dass mich die aktuellen Szenen immer eher weniger angesprochen haben – schließlich wollte ich erfahren, was Grace ins Gefängnis geführt hat!
Zu Beginn habe ich mich ein wenig schwer mit dem Schreibstil getan – gehört er einfach zur Autorin selbst oder sollte er zu Grace passen und die Geschichte authentischer wirken lassen?
Alles ist ein wenig verworren, abgehackt und teilweise sehr naiv, was der Geschichte aber wirklich Leben eingehaucht hat. Die menschliche Psyche wird uns wohl, zumindest ein Stück weit, für immer ein Rätsel bleiben.
Als dann der große Moment gekommen ist war ich hin und her gerissen. Eine Erkenntnis, die ich mir so nicht vorgestellt habe, bzw. sie mir doch mehr als Täuschung erhofft hatte. Wobei natürlich die Frage ist, wie sehr man eine reale Geschichte anzweifeln sollte.
Dennoch hatte der ganze Verlauf der Geschichte etwas unglaublich anziehendes an sich, etwas, das zum Nachdenken anregt und auch dafür sorgt, dass das Gelesene im Kopf bleibt.
Eine endgültige Bewertung fällt mir durchaus schwer. Alias Grace von Margaret Atwood hat etwas unglaublich Faszinierendes und Einnehmendes an sich, dennoch hat mich die Geschichte ein wenig unzufrieden zurückgelassen.
Nichtsdestotrotz ein fantastisches Werk, über das ich sehr froh bin, es endlich gelesen zu haben!
LESEPROBE? KAUFEN!
AUCH REZENSIERT VON: schiefgelesen | Buchmomente
11 comments found