Rezension | Eisfuchs von Tanya Tagaq

Rezension | Eisfuchs von Tanya Tagaq

Titel: Eisfuchs | Originaltitel: Split Tooth | Autor: Tanya Tagaq | Übersetzer: Anke Caroline Burger | Illustrator: Jaime Hernandez | Verlag: Kunstmann Verlag | Erscheinungsdatum: 11.02.2020 | Seitenzahl: 200

Der Winter ist vorbei und damit die Zeit, die die Kinder im Haus verbringen müssen, weil es draußen bitterkalt ist, hoch im Norden Kanadas, am Rande des Eismeers. Im Frühling haben die Kinder das Städtchen in der Hand, streunen auf der Suche nach Abenteuern durch die Straßen und durch die Tundra. Nach so wilden Abenteuern, dass sie dabei sogar das Leben riskieren. Die Erwachsenen sind mit eigenen Problemen beschäftigt und können keinen Halt bieten. Im Gegenteil.
Tanya Tagaq erzählt in diesem atemberaubenden Debüt von der Kindheit und Jugend eines Mädchens in der Arktis: von einer übermächtigen Natur, von den allgegenwärtigen Füchsen, den majestätischen Polarbären und den Mythen der Inuit. Unter den furchterregenden und verzaubernden Polarlichtern verschwimmen für das Mädchen die Grenzen zwischen Mensch und Natur, Zeit und Raum, und sie begibt sich auf eine verstörend sinnliche Selbstsuche, um die Wunden zu heilen, an denen in einer sich auflösenden Gemeinschaft alle tragen.

Vielen Dank an den Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars!

Als mich dieses Buch als Überraschungspost erreicht hat, habe ich mich wahnsinnig gefreut. Denn nicht nur die Aufmachung allein ist schon ein Hingucker, vor allem der Klappentext hat mich unglaublich neugierig gestimmt.

Schmerzhafte Wahrheit

Ich persönlich habe diese Geschichte komplett anders eingeschätzt, was mir aber auch nach nur wenigen Seiten sofort um die Ohren geflogen ist. Irgendwie hatte ich hier eine tiefgreifende aber auch poetische und leichte Adaption einer Mythologie im Kopf – viel eher ist es aber so, dass die Autorin hier eine schmerzhafte Wahrheit anspricht, die immer noch viel zu wenig Gehör bekommen hat. So hat diese Geschichte auch eine ganz besondere Widmung erhalten:

Für die verschwundenen und ermordeten indigenen Frauen und Mädchen Kanadas,
und für die Überlebenden der Residential Schools.

Tanya Tagaq hat hiermit nicht nur ihr belletristisches Debüt veröffentlicht, sondern sorgt auch mit ein paar biographischen Elementen und vielen Erfahrungsberichten für Einblicke, die zumindest mir ansonsten verborgen geblieben wären. Es wird die Zeit um 1975 im Norden Kanadas aufgegriffen und wie sich dort das Leben vor allem auch für indigene Frauen und Mädchen gestaltet hat. Wie ich hier anfänglich dachten könnte, dass teils eine harmonische Geschichte auf mich warten könnte, war vollkommen mein Verschulden.

Es geht um fürchterliche Ausgrenzung, gesellschaftliche Fehler und Leben, die furchtbar geprägt, eingeschränkt und zerstört wurden. Wie den Menschen ihre Heimat, ihre Kultur genommen wurde und sich ihr Leben in eine Richtung entwickelt hat, die einfach grausam ist. Sexuelle Gewalt, Ausgrenzung, Mobbing, Alkoholismus – diese Zeilen lassen sich wirklich nicht leicht verdauen.

Abstrakter Stil

Wahrscheinlich hat sich die Autorin gerade deshalb für einen Stil entschieden, der zum einen eine Fluchtmöglichkeit aus diesem Käfig, aber auch eine Verbindung zur eigenen Kultur und Mythologie geboten hat. So ist es aber, dass nicht nur der Inhalt wirklich schwer zu greifen und vor allem zu verarbeiten ist. Fast jede Seite ist geprägt von Gewalt und die Atmosphäre scheint sich hier nie aufzuhellen. Dazu kommen noch abstrakte Ausschweifungen, die es mir manchmal sehr schwer gemacht haben, der eigentlichen Handlung noch zu folgen, das Geschehen überhaupt noch begreifen zu können.

Zeitgleich ist es aber auch ein unglaublich beeindruckendes Buch, wenn ich es auch nie unter Vorbehalt empfehlen würde. Man muss sich nicht nur auf diesen Stil einlassen können, sondern vielmehr auch den Inhalt vertragen – was wirklich nicht einfach ist.

Alles in allem war Eisfuchs aber dennoch eine beeindruckende Erfahrung für mich, wenn auch vor allem die brutalen Passagen und all die Gewalt dafür sorgen, dass mir dieses Buch so schnell nicht aus dem Kopf gehen wird.

Wie wahrscheinlich die meisten, lässt mich Eisfuchs von Tanya Tagaq mehr als nur zwiegespalten zurück. Hier wird eine tragische Wahrheit ausgesprochen, auch wenn teils ein sehr abstrakter Stil gewählt wird. Rau und brutal, aber auch sehr einnehmend und mit einem wertvollen Nachklang.

KAUFEN!

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1 comment found

  1. Guten Morgen!
    Bei dem Klappentext hätte ich jetzt tatsächlich auch etwas ganz anderes erwartet, als du geschildert hast. Trotzdem bin ich sehr, sehr neugierig geworden. Die indigene Bevölkerung Kanadas ist ein Teil der Welt, den ich persönlich noch viel zu wenig für mich erforscht hab.

    Liebe Grüße! ❤️
    Gabriela

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