Rezension | Hort von Marijpol
Titel: Hort | Autor*in: Marijpol | Illustrator*in: Marijpol | Verlag: Edition Moderne | Erscheinungsdatum: 01.09.2022 | Seitenzahl: 368
‹Hort› erzählt von drei Frauen Ende dreißig, die in einer Wohngemeinschaft leben. Ihr Lebensentwurf orientiert sich nicht an Partnerschaften oder fruchtbaren Jahren, sondern an ihrer größtmöglichen privaten und beruflichen Unabhängigkeit. Ihre außergewöhnlichen Körper tragen die Frauen mit Selbstbewusstsein: Petra ist Bodybuilderin und extrem muskulös, Ulla ist riesig und dick und Denise hat mit einem Schlangenarm ihren Körper modifiziert. Ihr Aussehen widerspricht üblichen Normen von Schönheit und Weiblichkeit und bestimmt durch seine Besonderheit ihr Leben mit. Als die Freundinnen drei verlassene Kinder aus der Nachbarschaft kennenlernen, bewegen sich ihre Gefühle zwischen besorgter Fürsorglichkeit und steifer Befangenheit. Die Frauen sind keine typischen Mutterfiguren, dennoch fühlen sie sich für die Kinder zuständig …
Vielen lieben Dank an den Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars.
Obwohl mich der Comic so sehr gereizt hatte, lag er nun doch lange auf dem SuB. Umso glücklicher bin ich, dass ich die Geschichte nun endlich gelesen habe.
Queer-feministisch
Marijpol legt hier eher ungewöhnliche Charaktere vor, was schon die Aufmachung vom Cover aussagt. Kaum ist das Buch aber aufgeschlagen, findet man sich, trotz mancher Ausnahmesituationen, auch in sehr bekannten Mustern wieder. Es geht nicht nur um veraltete Frauenbilder und Sexualität, sondern eben auch um Selbstbestimmtheit und den Wunsch nicht nur seinen eigenen Platz zu finden, sondern diesen auch halten zu können. So gliedert sich die Geschichte zu Anfang in drei Perspektiven und es beginnt mit Petra. Bodybuilderin auf höchstem Niveau, mit klaren Vorstellungen, wie ihr Körper auszusehen hat und der entspricht nicht unbedingt der „weiblichen Norm“. Aber wieso sollte er das auch müssen?
Doch zu viele Muskeln und zu wenig Brüste sind scheinbar ein Auslöser, den andere Menschen nicht aushalten können, ohne ihre eigenen Vorstellungen von Körpern erläutern zu müssen.
Weiter geht es mit Ulla, die nicht nur durch ihren Körperumfang, sondern auch ihrer Größe für einige Aufmerksamkeit sorgt. Eigentlich restauriert sie im historischen Bereich und lebt für ihre beiden Mitbewohnerinnen und ihren Freund, doch dieser sieht als Erfüllung noch ein ausstehendes gemeinsames Kind, was ihr allerdings überhaupt nicht passt. (Petra hätte schon gerne eins, möchte ihren Körper aber keine Schwangerschaft aussetzen.)
Und dann gibt es noch Denise, die sich besonders durch ihre Körpermodifikationen (Schlangen anstatt mancher Körperzeile) und ihrer mürrischen Art auszeichnet.
Sie alle haben ihr Päckchen zu tragen, versuchen einfach nur sie selbst zu sein und soweit es geht sich untereinander zu unterstützen, aber ehrlich zueinander zu sein.
Anforderungen an Frausein und Weiblichkeit
So sehr wir uns auch wünschen wesentlich offener und fortgeschrittener zu sein und uns in vielen Punkten auch schon entwickelt haben, gibt es halt immer noch alte Laster und Vorstellungen, die sich nicht von Geschlechterklischees lösen können. Unter anderem ist es die scheinbar unumgängliche Erfüllung durchs Muttersein, bzw. die Aussage, dass dies auch biologisch einfach so vorherbestimmt wäre.
Als nun die drei Nachbarskinder Ilse, Dieter und Jörg mit ins Spiel kommen, die aus schon ziemlich verwahrlosten Verhältnissen kommen, hat es mir kurz in den Augen gezuckt.
Wird das die Moral der Geschichte? Dass die drei jungen Frauen alle nun ihre Erfüllung finden und erst dann richtig glücklich werden?
Zum Glück nicht und es hätte mich auch bei dem vorherigen Stil von Marijpol schon sehr gewundert. Tatschlich ist es so, dass ich mir vorher über den Titel gar nicht so viele Gedanken gemacht hatte, bis es mir nach dem Lesen aufgegangen ist. Na klar, ein Hort! Ein Ort, an dem sich Menschen aufhalten können und umeinander kümmern. Denn viel eher hatte ich hier das Gefühl, dass das Konzept einer Wahlfamilie thematisiert wird. Ein glückliches Miteinander, das sich so aufbaut, wie es den Menschen gut tut, ganz unabhängig davon, ob man blutsverwandt ist oder sich selbst fortpflanzt. So entwickelt sich hier natürlich eine ziemlich innige und auch emotionale Beziehung, aus denen alle wachsen und lernen, aber weniger, weil das nur Kinder schaffen, sondern weil hier manche neue Grenzen angetastet wurden und dennoch alle die Möglichkeit hatten zu entscheiden, was sie selbst möchten und was eben nicht.
Mir hat das Gesamtpaket auf jeden Fall unglaublich gut gefallen und mich mit all den Emotionen sehr überrascht und bewegt. Wenn ich auch nicht leugnen kann, dass manche Szenen echt super abgedreht sind.
Eine wirkliche Vorstellung hatte ich zu Beginn nicht, von dieser queer-feministisch angeteaserten Story, die allein in ihrer Aufmachung schon Besonderheiten aufzeigt. Im Endeffekt geht es aber um viel Selbstbestimmtheit, Zuneigung und Vertrauen und den Wert von einer Wahlfamilie, ganz entgegen gesellschaftlicher Vorstellungen gerade auch an Frauenbildern, die eben nicht erfüllt werden müssen.
KAUFEN!
AUCH REZENSIERT VON: folgt
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