Rezension | Parallel von Matthias Lehmann
Titel: Parallel | Autor*in: Matthias Lehmann | Illustrator*in: Matthias Lehmann | Verlag: Reprodukt | Erscheinungsdatum: 14.10.2021 | Seitenzahl: 464
Karl Klings Geschichte ist eine Offenbarung. Eine Offenbarung gegenüber seiner Tochter Hella, die viele Jahre zuvor den Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Karls Brief an sie ist nichts weniger als der Versuch, ihr jenen Unbekannten vorzustellen, der ihr Vater ist, ihr jedoch nie ein Vater zu sein vermocht hatte. Im Rückblick auf sein Leben erfahren Hella und die Leser:innen von Karls gescheiterten Ehen, zerrütteten familiären Beziehungen – und von seiner Liebe zu Männern.
Von den letzten Kriegsjahren an bis in die 1980er-Jahre hinein folgt PARALLEL Karl Klings Bemühen, bürgerlichen Normen zu genügen, um im Verborgenen seine Sexualität leben zu können. Dabei setzt sich nicht allein das Porträt eines zwischen Anpassung und Aufbegehren zerrissenen Lebens zusammen, PARALLEL zeichnet zugleich das Panorama einer deutschen Gesellschaft, in der Homosexualität geächtet und bis 1994 unter Strafe gestellt ist. Eindringlich erzählt Matthias Lehmann von der jahrzehntelangen Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben und von dem Preis, den Karl Kling und die Menschen an seiner Seite dafür zahlen. Er erzählt auch von dem Mut, sich trotz aller Widerstände schließlich zu öffnen.
Vielen Dank an den Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars!
Parallel gehört zu einer der Geschichten, die mich bereits in der Vorschau schon angelacht haben und auf die ich mich wahnsinnig gefreut habe.
Homosexualität in der Nachkriegszeit
Reinhard Kleist, der hier das Vorwort übernommen hat, sagt bereits schon, dass ein Großteil dieser Geschehnisse und Situationen zum Glück der Vergangenheit angehören, doch eben leider nicht alles.
Als nicht heterosexuelle Person ist man weiterhin in der Position sich ständig und immer wieder outen , sich erklären zu müssen. Der Alltag gestaltet sich oftmals anders, die Reaktionen sind andere und die Akzeptanz ist leider immer noch nicht soweit verbreitet, wie man es annehmen sollte.
Matthias Lehmann erzählt hier die Geschichte von Karl Kling, der bereits in seinem Kriegseinsatz die Gewissheit bekommt, dass er sich zu Männern und nicht zu Frauen hingezogen fühlt. Kaum zurück steht aber schon die geplante Hochzeit vor der Tür. Doch welche Optionen hat er auch?
Die Gesellschaft ist noch lange nicht bereit Homosexualität zu akzeptieren, im Gegenteil, sie ist immer noch strafbar und lässt Betroffenen wenig Spielraum ihr Leben wirklich zu entfalten. So versucht es auch Karl sich der vorgeschriebenen gesellschaftlichen Norm zu fügen und heiratet seine erste Frau und wird Vater.
Es kommt, wie man es befürchtet und Karl verliert sein Leben wie er es kannte, seine Bezugspersonen und seine Familie. Doch wie geht es weiter?
Innere Zerrissenheit
Karls Neuanfang ist ebenso gezeichnet wie sein altes Leben, was soll er machen? Sich zu outen steht außer Frage, was ihn dann erwartet ist kein Geheimnis. Doch wie soll es funktionieren, seine Sexualität nur im Verborgenen ausleben zu können und ständig der Gefahr ausgeliefert zu sein?
Karl versucht es dennoch, baut sich wieder eine Familie auf und findet sich in ganz ähnlichen Mustern wieder. Darunter leidet er und auch seine Familie. Vor allem seine Tochter Hella, die bereits vor Jahren den Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Der Comic zeigt Karls Leben von jungen Jahren an bis hin zu seinem Rentenalter – ganz allein versucht er nun sich doch noch anderen Menschen zu öffnen, vor allem aber seiner Tochter, um sich ihr zu erklären.
So switcht man in der Geschichte zwischen Karls Vergangenheit und seinem heutigen Leben und dazwischen seine Erklärungen in einem Brief Hella dazu zu bewegen, ihm noch eine Chance zu geben und sie zu seinem Geburtstag einzuladen.
Es ist sicherlich keine Überraschung, dass Parallel wahnsinnig emotional und auch sehr traurig ist. Was mir aber besonders gut gefallen hat war, dass auch Karl seine Ecken und Kanten hat. In manchen Momenten seines Lebens wirkt er schon fast egoistisch und rücksichtslos, doch zeitgleich fragt man sich auch, was für eine Wahl er überhaupt hatte. Und was eine intolerante Gesellschaft mit Menschen macht.
Mit eindringlichen Szenen und tollen Zeichnungen wechselt der Künstler zwischen einem großen Austausch und dann wieder mit sehr ruhigen Szenen, die ganz ohne Worte auskommen und Karl Klings Einsamkeit umso mehr hervorheben.
Matthias Lehmann hat hier unglaubliche Arbeit geleistet und mit sehr viel Feingefühl gearbeitet. Ein wirklich beeindruckendes Werk, das mich sehr beschäftigt hat und auch noch lange Zeit in meinem Kopf bleiben wird.
Matthias Lehmann hat mit seinem Comic Parallel nicht nur einen Fokus auf das Thema Homosexualität in der Nachkriegszeit geworfen, sondern zieht auch noch weitere wichtige gesellschaftliche Aspekte mit ein und auch ein paar traurige Parallelen, die es auch heute noch gibt. Eine unglaublich starke, wenn auch sehr traurige Geschichte, die mich tief bewegt hat und für die ich eine große Leseempfehlung aussprechen kann.
KAUFEN!
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