Rezension | Radium Girls von Cy
Titel: Radium Girls – Ihr Kampf um Gerechtigkeit | Autor*in: Cy | Übersetzer*in: Christiane Bartelsen | Illustrator*in: Cy | Verlag: Carlsen | Erscheinungsdatum: 28.12.2021 | Seitenzahl: 136 | Altersempfehlung: ab 14
New Jersey, Zwanzigerjahre
Für viele junge Frauen wurde ein Traum wahr, wenn sie einen Job in den Ateliers der US Radium Corporation bekamen, wo sie die Zifferblätter von Uhren mit Nachleuchtfarbe bemalten. Sie konnten selbst Geld verdienen und unabhängig das Leben geniessen.
Wenn sie ausgingen, lackierten sie sich die Nägel mit Radiumfarbe, leuchteten im Dunkeln und nannten sich übermütig „Ghost Girls“.
Was sie nicht wussten, war, dass das Radium in der Farbe tödlich ist. Als immer mehr von ihnen an der Strahlenkrankheit litten und starben, wagten sie den ersten großen Arbeitskampf von Frauen gegen die Industrie.
Fünf junge Frauen siegten gegen die Industrie.
Die junge französische Zeichnerin Cy. zeichnet mit leichtem Strich die ambivalente Geschichte und spiegelt in zarten Pastellfarben das leichte hoffnungsvolle Leben der jungen Frauen, aber je mehr man erfährt, umso toxischer wirkt das helle Grün.
Vielen Dank an den Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars!
Von dem Comic hatte ich ehrlich gesagt noch gar keine Vorstellungen und wollte mich einfach überraschen lassen – was mehr als nur gelungen ist!
Lip, dip & paint
Wer aus dem künstlerischen Bereich kommt, der hat sicherlich schon etwas von dieser Methode gehört. Nur wer würde auf die Idee kommen, diese mit Radium in der Praxis umzusetzen?
Es sind die 1920er Jahre in einer Fabrik in New Jersey, der U.S. Radium Corporation.
Gerade für Frauen scheint es der Glückstreffer schlechthin zu sein, hier einen Job zu ergattern. Denn gerade in dieser Zeit gibt es noch kein Wahlrecht und Frauen sind komplett von ihren Männern abhängig – hier tut sich nun allerdings die Möglichkeit auf, eigenes Geld zu verdienen.
Doch was genau tun die Frauen hier? Die Ziffernblätter von Uhren müssen bemalt werden und das mit Radium. Angeleitet von Vorarbeitern und der Chefetage soll hierfür die „lip, dip & paint“ Methode verwendet werden, wobei der feine Pinsel zwischen den Lippen befeuchtet wird, in die Farbe getunkt wird und dann wird gemalt. Dieser Prozess wird immer wieder wiederholt, bis der Tagessoll erfüllt, bzw. die Arbeitszeit um ist.
Allein beim Lesen stellen sich einem sofort die Nackenhaare auf, weil wir in unserer jetzigen Zeit mehr als nur aufgeklärt sind über die Risiken und die Gefahren.
Doch die jungen Frauen hatten damals keine Ahnung davon. Aus Spaß wurden sich auch Zähne und Nägel bemalt, wodurch sie in der Umgebung schnell den Ruf der „Ghost Girls“ erhalten haben, worauf sie mächtig stolz waren. Als eine der Frauen dann aber ein schockiertes „Nehmen sie die Farbe nicht in den Mund, die ist giftig!“ von einem der vorbeigehenden Forscher entgegengeworfen bekommt, kommen erste Zweifel auf. Die Nachfragen werden bei Vorgesetzten allerdings nur abgetan, natürlich ist die Farbe nicht giftig.
Doch nach und nach erkranken und versterben die Frauen. Anfänglich noch unter ganz anderen Krankheiten, doch die Symptome stimmen überein und so kommt wieder der Zweifel auf.
Frauenrechte & Arbeitsschutz
Nachdem klar wurde, dass die radioaktive Leuchtfarbe wesentlich schädlicher ist, sogar tödlich, ist es für die Frauen schon zu spät. Welcher Blick ihnen verwehrt wurde, den Leser*innen hier aber offensteht: das Gebäude ist in unterschiedlichen Etagen der Firma unterteilt, unten die weiblichen Arbeiterinnen, die die „lip, dip & paint“ Methode anwenden, oben die männlichen Forscher, in kompletter Schutzmontur. Also ja, die Risiken waren sehr wohl bekannt, doch die Frauen hat man sehenden Auges der Gefahr ausgesetzt. Von Knochenbrüchen, verkürzten Gliedmaßen, Tumoren, Zahnausfall und Fehlgeburten ist alles mit dabei, nur der Zusammenhang bleibt leider zusammen verschleiert. Gerade dadurch, dass die Schicksale der einzelnen Frauen beleuchtet wird, wirkt das Schicksal und die Qual noch viel grauenhafter.
Als die Arbeiterinnen nun beschließen dagegen vorzugehen, will kein Anwalt sie annehmen und generell sie niemand ernst nehmen. Einen Schritt weiter ist es dann die Gegenseite, die die Verhandlungen immer wieder zu verschieben weiß, wohl wissend, dass den Betroffenen nur noch 2-4 Monate zu Leben bleiben. Das Ausmaß der Unmenschlichkeit hat mich sprachlos zurückgelassen.
Zum Ende hin bleibt den Frauen, die keine Kraft für weitere Kämpfe haben, nicht viel anderes übrig als einen Vergleich anzunehmen. Was sie aber leider nicht mehr wussten: sie haben das Rad ins Rollen gebracht und viele weitere Frauen dazu gebracht ihre Stimmen zu erheben und sich gegen diese Ungerechtigkeit zu erheben. Und das Ergebnis? Der Arbeitsschutz, Arbeiter*innen haben von nun an die Möglichkeit auch gesetzlich gegen ihre Arbeitgeber*innen vorzugehen und diese müssen Schutzmaßnahmen für ihre Angestellten übernehmen.
Zum Gedenken an Grace, Katherine, Albina, Quinta, Mollie, Catherine, Edna, Hazel, Marguerite, Sarah, Helen, Irene, Ella, Charlotte, Marie, Peg, Ines, Frances, Mary, Pearl und all jene, die anonym geblieben sind.
„Radium Girls“ von Cy
An all diese Frauen, die wir kein zweites Mal vergessen dürfen.
Radium Girls erzählt die fast vergessene Geschichte von Frauen, die wohlwissend der Gefahr von Radium ausgesetzt wurden. Für die es kein Zurück mehr gab und die dennoch die Stärke gefunden haben, einen Stein ins Rollen zu bringen, der uns allen den Weg in der heutigen Arbeitswelt ebnet.
Eine Geschichte, die wir nicht vergessen und die Namen der Menschen in Erinnerung behalten sollten.
KAUFEN!
AUCH REZENSIERT VON: folgt
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