Rezension | Unwesen von John Ajvide Lindqvist
Titel: Unwesen | Originaltitel: Vänligheten | Autor*in: John Ajvide Lindqvist | Übersetzer*in: Thorsten Alms | Verlag: dtv | Erscheinungsdatum: 18.05.2023 | Seitenzahl: 768
Eine Welt ohne Lächeln ist wie ewige Finsternis
Norrtälje, eine verschlafene Küstenstadt in Nordschweden. Als am Hafen ein Container auftaucht, von dessen Herkunft niemand etwas wissen will, geschieht erst einmal nichts. Nur Siv, Halbwaise und alleinerziehende Mutter eines kleinen Mädchens, spürt eine Bedrohung. Als der Container endlich aufgebrochen wird, legt sich etwas Dunkles über die Stadt. Freundlichkeit und Mitgefühl verschwinden aus Norrtälje. Es gibt keine helfenden Hände mehr, kein tröstendes Wort. Siv weiß, dass die Zeit des Wartens für sie zu Ende geht. Zusammen mit Freunden folgt sie der Spur des Bösen …
Vielen Dank an den Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars!
Ich habe das Buch in der Vorschau entdeckt und war gleich unglaublich angefixt – also her mit den hohen Erwartungen!
„Schwedens Antwort auf Stephen King“
Mit solch einer Ankündigung liegt die Erwartungshaltung natürlich ziemlich hoch. Ich bin bei solchen Aussagen auf der einen Seite zwar immer ein wenig skeptisch, komme aber auch nicht drumherum, dass sich irgendwo im Hinterkopf die entsprechende Erwartung auf die Geschichte breitmacht.
An dieser Stelle kann ich aber gleich sagen, dass sich diese Aussage nach nur wenigen Seiten und auch nach dem Gesamteindruck definitiv nicht widerlegt. John Ajvide Lindqvist erschafft hier eine unglaublich vielschichtige und sehr detailverliebte Story, die sich definitiv sehen lassen kann und durchaus in manchen Zügen an den King of Horror erinnert.
Was der Klappentext verspricht, lässt allerdings noch eine Weile auf sich warten. Denn zuerst switchen wir ins Jahr 2002 als unsere Charaktere gerade in ihrer Jugend sind. Auf der einen Seite haben wir die junge Siv, die Ereignisse sieht, bevor sie eintreffen und auf der anderen Seite Max, der mit seinen Freunden unterwegs ist und von ähnlichen Vorahnungen heimgesucht wird. Das Ganze baut relativ schnell eine bedrückende und einnehmende Atmosphäre auf, die die Lesenden gleich in die perfekte Stimmung bringt.
Danach geht es ins Hier und Jetzt, bzw. 2018. Die Charaktere sind nun Erwachsen und leben ihr Leben, in ganz unterschiedlichen Lebensrealitäten. Manche Szenen wirken ein wenig aus dem Kontext gerissen, aber man merkt schnell welch ausgeprägten Fokus der Autor auf seinen Charakteraufbau legt. An manchen Stellen hätte es für meinen Geschmack auch mal weniger ausgeschrieben sein und mehr der Fantasy überlassen werden können, aber das ist einfach Geschmackssache.
Eindringlich & gesellschaftskritisch
Doch dann ist es endlich soweit und der besagte Container trifft im Hafen von Norrtälje ein und bringt ein bisschen Dynamik in die Küstenstadt Nordschwedens. Zuerst stehen nur viele Fragezeichen im Raum – wem gehört der Container? Welche Fracht ist enthalten? Doch Siv merkt schnell, dass da wesentlich mehr hinter steckt und als der Container aufgebrochen wird, sucht die Dunkelheit die einst so harmonische Gemeinschaft auf und verändert alles. Alles, was hier jemals gut war verschwindet und macht einem grauen platz, der gar nicht mal so viel mysteriösen Ursprung hat, wie ich vor dem Lesen vermutet hätte, sondern viel mehr in der schlechten Natur des Menschen.
Natürlich kommen auch Mystery Fans auf ihre Kosten, allerdings relativ subtil für meinen Geschmack, denn der Fokus des Autors ist klar. Und so versteckt sich hinter all der aufkeimenden Brutalität (Triggerwarnung: Vergewaltigung, Tierquälerei) sehr viel gesellschaftskritischer Input, der eben leider auch in unserer Gesellschaft keinesfalls von der Hand zu weisen ist. Der zwischenmenschliche Umgang, Respekt voreinander, Empathie für unseren Gegenüber und Verständnis für andere Lebensrealitäten scheinen allesamt der Vergangenheit anzugehören und so liegt es nun unter anderem an den wenigen Auserwählten die Gemeinde zu retten und einen Weg hinaus zu finden.
Der kleine Klopper hier bietet einiges um zu Verdauen, wird aber in meinen Augen niemals langweilig, auch wenn ich auf die ein oder andere Ausschweifung vielleicht auch mal hätte verzichten können – für das Gesamtkonzept aber eben auch ausschlaggebend. Mir persönlich hat der Stil dennoch sehr zugesagt. Die facettenreiche und intensive Geschichte hat es in sich und bleibt eine Weile im Kopf, für mich weniger eine Lektüre für zwischendurch, sondern eher Lesestoff, der sich nach und nach mehr entfaltet und seine Wirkung zeigt. Ganz davon abgesehen, dass ich die angesprochenen Themen mehr als nur wichtig finde und auch den Umgang hier sehr geschätzt habe.
Tatsächlich konnte „Unwesen“ auf der einen Seite meine Erwartungen erfüllen und hat mir auf der anderen Seite teilweise doch etwas ganz anderes geboten, als ich anfänglich vermutet hatte. Das Gesamtpaket lässt sich aber allemal sehen und darf zurecht als „Schwedens Antwort auf Stephen King“ bezeichnet werde. Gesellschaftskritisch, einnehmend und mit großem Nachklang.
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