Rezension | Vor dem Sprung von Brandon Taylor

Rezension | Vor dem Sprung von Brandon Taylor

Titel: Vor dem Sprung | Originaltitel: Filthy Animals | Autor*in: Brandon Taylor | Übersetzer*in: Maria Hummitzsch & Michael Schickenberg | Verlag: Piper | Erscheinungsdatum: 31.03.2022 | Seitenzahl: 288

Fragile Identitäten zwischen Zärtlichkeit und Gewalt

Ein junger queerer Mann lässt sich mit einem Tänzerpaar ein und ahnt nichts von der toxischen Eifersucht, die bald in der Affäre schwelt. Eine Familie zerstreitet sich wegen der Homosexualität des abwesenden Sohnes. Ein Junge erfährt an seinem 17. Geburtstag, dass sein bester Freund eine Mitschülerin vergewaltigt hat. Und versteht: Es gibt Schlimmeres, als allein erwachsen zu werden. Man liest Brandon Taylors Storys mit angehaltenem Atem, weil das Unheil jederzeit durch die zarte Schicht des Alltags zu brechen droht.

26 Medien in den USA und Großbritannien zählten „Vor dem Sprung“ noch vor Erscheinen zu den wichtigsten Büchern des Jahres. Hier spricht ein Autor, der die amerikanische Literatur über Jahre hinweg prägen wird.

Vielen Dank an den Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars!

Bisher habe ich noch nichts von dem Autor gelesen, war aber unglaublich neugierig, was sich hinter den preisgekrönten und beliebten Geschichten wohl verbergen mag.

TRIGGERWARNUNG Suizid, Verlust, sexuelle Gewalt

Storysammlung

Bei dieser Überschrift bitte nicht abschrecken lassen, falls ihr kein Fan von Kurzgeschichten seid (bin ich prinzipiell auch nicht), denn so liest sich dieses Buch nicht. In den Kapiteln wechseln einfach die Perspektiven, zumeist bekommen die Charaktere ein Kapitel, mit Ausnahmen, doch die meisten Schicksale und Leben sind miteinander verknüpft und sorgen eher für einen besseren Gesamteindruck. Ob nun an der Seite von Lionel, der mit seinen Suizidgedanken und auch –versuchen wieder versucht zurück in sein Leben als Doktorand zu finden, dem Tänzer Charles, der mit seinem verletzten Knie seine Karriere immer weiter schwinden sieht – die sich übrigens auch beide begegnen und herauszufinden versuchen, was das zwischen ihnen ist. Milton, der gerade seinen 17. Geburtstag feiert und versucht seine letzten selbstbestimmten Momente zu leben, bevor seine Eltern ihn zeitweise fortschicken, um ihn vor schlechtem Einfluss zu bewahren. Sylvia, die nach der Trennung von ihrem Freund nun in dem Haus der Familie lebt, auf dessen Kinder sie aufpasst und ein Stück von sich selbst in dem kleinen Mädchen wiederfindet.
„Sie weiß, wie es ist, in etwas gefangen zu sein, in einem Leben. Sie weiß, wie es ist, wenn man ein Loch in all die Dinge reißen will, die einen umgeben.“ „Vor dem Sprung“ Brandon Taylor

Bedrückend & ehrlich

Es ist bestimmt nicht überraschend, dass die meisten Schicksale so ihre Hürden mit sich bringen und neben den von mir erwähnten Charakteren, finden auch noch andere ihren Auftritt, die mit ähnlichen Situationen konfrontiert sind. „Auf der Suche nach sich selbst“ klingt zwar ein wenig abgedroschen, doch selten hatte ich das Gefühl, dass diese Bezeichnung so gut passt. Denn das sind diese Charaktere, nur eben nicht auf einem blumigen Roadtrip, sondern mit all den Konsequenzen und Hürden, die der Alltag für sie bereithält. Es gibt eine große queere Repräsentation in den Storys, doch die Probleme beziehen sich allgemein aus unserer Gesellschaft. Das Älterwerden, anderssein, sich auseinanderleben. Kommunikation ist hier ebenfalls ein großes Thema. Doch nicht nur darauf bezogen, dass man für sich selbst sprechen muss, sondern auch, dass Menschen bereit sein müssen zuzuhören. Die Gefahr bekannte Muster zu verlassen, ist alles andere als einfach, selbst wenn es sich wie in einem kleinen Gefängnis anfühlt. Das bedarf nicht nur Mut und Kraft, die wir meistens einfach nicht im Überschuss haben, sondern manchmal auch Hilfe. Für mich war das gesamte Buch sehr bedrückend, oftmals auch schwer zu lesen und triggernde Themen schwer zu verarbeiten, denn davon gibt es hier viele. Manchmal ist es auch nur unangenehm, weil die Wahrheit eben nicht immer schön ist und dem entspricht, was wir gerne hätten, eine gewisse Abgeklärtheit in der Hinsicht kann aber auch augenöffnend sein. Der gekonnte Stil von Brandon Taylor gibt hier den Rest und sorgt für ein abgerundetes Gesamtpaket, das sich tief in Kopf und Herz setzt und einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Vor dem Sprung von Brandon Taylor war wie zu erwarten keine leichte Lektüre, im Gesamtpaket aber wesentlich bedrückender und stellenweise unangenehm, als ich zuerst vermutet hätte. Mit ziemlich vielen triggernden Inhalten kann man sich schon in der Storysammlung verlieren, doch dafür gibt sie einem auch viel mit – nur eben auf andere Weise, als wir es vielleicht gewohnt sind.

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