[BOOKTALK] Wie mir „Nur noch ein einziges Mal“ die Augen öffnete
Was mir gerade durch den Kopf geht, lässt sich nur schwer in Worte fassen und dennoch muss ich es einfach loswerden. In diesem Beitrag geht es um das Buch Nur noch ein einziges Mal / It Ends With Us von Colleen Hoover und SPOILERT den kompletten Inhalt!
Wenn ihr das Buch also noch nicht gelesen habt, es aber noch vor habt: LEST AUF KEINEN FALL DIESEN BEITRAG.
Ich habe gerade dieses Geschichte beendet und fange immer wieder an zu weinen. Eins war gleich klar, eine Rezension will und kann ich dazu einfach nicht schreiben. Und dennoch habe ich so unglaublich großen Redebedarf, dass ich mir vorstellen könnte, nicht die einzige zu sein.
Bereits vor dem Lesen wusste ich, dass mich dieses Buch nicht kalt lassen und eine schwere Thematik auf mich zukommen wird, allein durch viele Aufschreie der Leser. Ebenso gab es eine klare Warnung, vorher nicht einmal den Klappentext zu lesen, weil es einfach zu viel vorwegnehmen würde.
Hier noch einmal zur Erinnerung:
Eine Achterbahn der Gefühle
Als Lily Ryle kennenlernt, scheinen all ihre Träume wahr zu werden: eine neue Stadt, der erste Job und dann noch Ryle – überaus attraktiv, überaus wohlhabend und überaus erfolgreich. Vergessen scheint Lilys schwierige Kindheit. Vergessen auch Atlas, ihre erste Liebe, der gegenüber von Lily squattete – bis ihr Vater die beiden erwischte und Atlas von heute auf morgen verschwand. Und dann steht Atlas auf einmal vor ihr. Als Ryle von ihrer gemeinsamen Vorgeschichte erfährt, weckt dies seine Eifersucht …
Ich bin wirklich froh, dass ich bis zum Ende des Buches jeglichen Beiträgen, Rezensionen und ja, auch dem Klappentext aus dem Weg gehen konnte. Auch, wenn ich schnell erahnen konnte, worum es gehen wird.
Aber was ich nicht erwartet habe? Was es mit mir machen wird.
Ich denke die meisten haben zu so gut wie jedem Thema eine klare Meinung, spätestens, wenn sie mal darauf stoßen. So ging es auch mir mit häuslicher Gewalt. Nie im Leben hätte ich die Opfer dafür verachtet, das war allein den Tätern vorbehalten. Aber dennoch hat mir einfach das Verständnis gefehlt, wieso die Betroffenen nicht die „nötige Stärke“ gefunden haben, sich von diesen Menschen zu trennen.
Jetzt, wo ich die letzte Seite beendet habe, schäme ich mich. Ich schäme mich für diese Gedanken und fühle mich mehr als nur elendig. Wie konnte ich mir nur einbilden, dass ich mir ein Urteil erlauben dürfte?
Colleen Hoover hat es geschafft, dass ich in Lilys Geschichte aufgeblüht bin. Für ein paar Stunden habe ich ihr Leben gelebt, ihre Entscheidungen getroffen und ihre Gefühle durchlebt.
Und ganz plötzlich war das alles so unglaublich viel einfacher gesagt als getan.
Ich bin mit Lily aufgewachsen und habe ihre Kindheit erlebt. Ich hatte das Gefühl, die gleichen Erfahrungen gemacht zu haben und wurde nur noch in meiner vorherigen Auffassung bestärkt, dass kein Mensch sich solch einem Leid ausliefern sollte und mir selbst so etwas nie, niemals passieren könnte. Und dann trifft man Ryle, mit seiner unverblümten ehrlichen Art und all seinem Charme. Man fühlt sich stark und mutig. Und dann kommt dieser eine Augendlick, dieser so unglaublich kurze Moment, der alles ändert.
Bei der Szene in der Küche, wo Ryle sich ein wenig tollpatschig verhält und die Hand verbrennt. Und Lily lacht. Lacht.
Dieser eine Augenblick, wo eine Grenze eingerissen wird, die für einen so klar vor Augen stand.
Ryle. Holt. Aus.
In diesem Moment dachte ich einfach nur „Nein.“. Ich habe Lily so viel mehr gewünscht und habe schon ihr verlorenes Glück betrauert. Bis zu dem Zeitpunkt als er seine Tat betrauert hat. Und sie ihm verzieh.
Und das schlimmste für mich in diesem Moment? Ganz vielleicht habe ich das auch getan. Es war absolut falsch, unentschuldbar. Und als Außenstehende würde ich auch immer anders reagieren. Aber das war ich nicht, ich war Lily und meine Liebe zu Ryle war immer noch unglaublich groß.
Nun verarbeitet man aber solch eine Situation und möchte daran arbeiten. Doch leider, leider ist es meistens so, dass wenn eine gewisse Grenze überschritten wurde, der Weg nun einmal frei liegt.
Und so landet Lily an einem Punkt, an dem sie sich verabscheut, weil sie das Gefühl bekommt, wie ihre Mutter zu sein. Und ich? Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl eben genau solche Rückschlüsse nicht zu ziehen. Das erste Mal merke ich, wie schnell man in solch einen Kreislauf geraten kann und wie schwer es ist, seinen weiteren Weg zu finden. Denn wie Ryle so schön sagt…
So was wie schlechte Menschen gibt es nicht. Wir sind alle bloß Menschen, die manchmal schlimme Dinge tun.
Es fällt mir gerade so unglaublich schwer, diesen einen Gedanken in Worte zu fassen. Vielleicht, weil es gar nicht nur einer ist. Ich wünsche keinem Menschen solch eine Situation, und jedem, der dennoch in solch einer landen sollte, den Mut und die Kraft da raus zukommen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass es eben nicht von Schwäche zeugt, wenn man das nicht schafft. Es ist keine Schwäche. Es ist nicht die eigene Schuld, man trägt nicht dazu bei.
Kein Schicksal ist mit einem anderen zu vergleichen und niemand, einfach niemand kann genau dieselben Empfindungen teilen und verstehen.
Trotz der Wucht des Inhalts, kam dieser Prozess schleichend bei mir an. Denn obwohl ich in den Situationen genauso schockiert war, wie Lily selbst, habe ich durch ihre Augen Ryle gesehen.
Ich würde mir niemals anmaßen zu behaupten, dass ich wissen kann, wie es Menschen geht, die so etwas durchmachen. Aber das erste Mal habe ich das Gefühl, ansatzweise zu verstehen, dass es nicht so leicht ist.
Und dass wir es den Betroffenen sicher nicht leichter machen, indem wir über sie urteilen.
Es tut mir leid. So, so unendlich leid.
Am Ende im Krankenhaus war ich selbst so weit, dass mir eine klare Entscheidung schwer gefallen wäre.
Ich bin froh über das Ende und die ausschlaggebenden Worte.
Hier hört es auf. Mit dir und mit mir. Mit uns endet es.
Natürlich gab es noch viele andere wichtige Aspekte in dem Buch, alle Charaktere haben zu dieser Geschichte beigetragen und sie vollkommen gemacht. Atlas, der Mann, den Lily verdient hat. Ihre Mutter, über die ich mich am Anfang noch so geärgert habe und dann auf einmal ganz anders gedacht habe. Und Allysa und Marshall, die einfach für Liebe, Geborgenheit und Verständnis sorgen. Für mich ging es in diesem Beitrag aber einfach darum, den oben stehenden Gedanken Luft machen zu können.
Für all jene, denen es genauso geht. Die gerne über dieses Buch sprechen würden, es aber niemandem vorwegnehmen wollen – kommentiert hier gerne!
Nur noch ein einziges Mal ist eins dieser Bücher, das mir zeigt, wieso das Lesen so wertvoll für mich ist.
Empathie. Nicht nur in andere Welten zu gelangen, sondern auch die Chance zu haben ein anderes Leben zu leben und vor allem zu verstehen.
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