Rezension | Ey hör mal! von Gulraiz Sharif

Rezension | Ey hör mal! von Gulraiz Sharif

Titel: Ey hör mal! | Originaltitel: Hør her’a | Autor*in: Gulraiz Sharif | Übersetzer*in: Meike Blatzheim & Sarah Onkels | Verlag: Arctis | Erscheinungsdatum: 16.02.2022 | Seitenzahl: 208 | Altersempfehlung: ab 14

Die Jugendbuch-Sensation aus Norwegen! Es sind Sommerferien und der fünfzehnjährige Mahmoud stellt sich auf lange Tage außerhalb seines Plattenbau-Viertels am Rand von Oslo ein. Norwegische Norweger verreisen in den Sommerferien, aber was machen mittellose Ausländer? Doch dieser Sommer wird anders. Denn die Familie erhält Besuch von Onkel Ji aus Pakistan und Mahmoud soll ihm die Stadt zeigen. Onkel Ji ist fasziniert von dem fremden Land, doch dann beginnt auch er sich zu fragen, ob mit Ali, Mahmouds kleinem Bruder, etwas nicht stimmt. Denn Ali spielt mit Puppen und benimmt sich nicht so, wie ein Pakistani-Junge sich benehmen sollte …

Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Als ich zuerst das Cover in der Programmvorschau gesehen habe, dachte ich, das wäre nichts für mich – bis der Inhalt vorgestellt wurde und ich direkt Feuer und Flamme war!

Vorurteile im Kopf

So habe ich mir also voller Vorfreude und großer Erwartungen das Buch geschnappt und konnte es kaum abwarten, nun endlich in die Geschichte einzutauchen und dann… Dann gab es gleich zu Beginn eine sprachliche Herausforderung. Ich bin kein großer Fan von Jugend-Slang & Co. in geschriebener Form, gerade in Büchern und tu mich damit meistens ziemlich schwer. Dabei bin ich da eigentlich gar nicht so verklemmt und habe auch die ein oder andere At in meinem eigenen Sprachgebrauch. Mahmoud legt da aber definitiv noch eine Schippe drauf. Entgegen meiner Befürchtung hat sich diese Barriere bei mir aber unglaublich schnell gelegt und eher für mehr Authentizität gesorgt. Im Nachhinein und ein wenig reflektiert denke ich, dass der Autor genau damit arbeiten wollte. Denn auch, wenn man es im ersten Moment nicht so zugeben will, bilden sich doch direkt Stereotype im Kopf und der 15-jährige Mahmoud beweist nur einmal mehr, dass genau das absoluter Schwachsinn ist. Mahmoud lebt mit seiner pakistanischen Familie, bestehend aus seinen Eltern und seinem kleinen Bruder Ali* in einer Plattenbausiedlung in Oslo. Das Leben nervt schon oft im Normalzustand, was nicht immer leicht ist, wenn der Vater nur am arbeiten ist, das Geld aber trotzdem nicht wirklich reicht und auch die Mutter kaum zum Luftholen kommt. Mahmouds Eltern sind sehr kulturbezogen und oftmals ein wenig engstirnig – da kommt die Konfrontation mit den „westlichen Herausforderungen“ quasi gratis dazu. Als sich dann noch Mahmouds Onkel einlädt kommt noch mehr Spannung in die Familie und leider nicht die erhoffte Ruhe der Ferien, die sich Mahmoud so sehr erhofft hatte.

Ganz großes Kino

Mahmoud ist der Wahnsinn und hat mein Herz im Sturm erobert – sprachlich wirkt der Kern hier ziemlich hart, aber das täuscht auf ganzer Linie. Denn er ist unglaublich offen und erfrischend pragmatisch, zeitgleich aber auch sehr empathisch und einfach humorvoll. Je weiter die Geschichte vorangeht, desto mehr rückt auch Ali* in den Fokus. Zuerst wird seine Art gerade vom Vater noch mehr damit abgetan, dass er einfach ein Muttersöhnchen ist und von dieser zu sehr verhätschelt wird. Auch das allein ist mal wieder der beste Beweis für toxische Männlichkeit, doch tatsächlich steckt auch noch mehr dahinter. Als sich Ali* Mahmoud anvertraut, versteht dieser nicht gänzlich die Thematik, doch beweist sich charakterlich mit Unterstützung und den größten Versuchen zur Akzeptanz. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass mir nicht schon ab der Mitte der Story, die ersten Tränchen über die Wange gekullert wären. Es ist so ein spannender Entwicklungsprozess, der sich durch dieses vermeintlich kleine Buch zieht, dass ich immer noch baff bin. Es ist Mahmouds At, Probleme und Situationen anzugehen, aber auch die Dynamik in der Familie. Onkel Ji, der so begeistert ist von Oslo, Mahmouds Vater, der sich störrisch an veraltete und längst überholte Muster halten will und Mahmouds Mutter, die endgültig die Schnauze voll hat, von so vielen toxischen Ansichten. Ein wahres Wechselbad der Gefühle, so viele Wow-Momente und vor allem einigen Szenen, die tief zum Nachdenken anregen und noch lange in meinem Kopf bleiben werden. Wir stehen gesellschaftlich noch lange nicht da, wo wir stehen sollten, doch diese Geschichte ist der beste Schritt dorthin. Ich habe diese Familie so sehr ins Herz geschlossen und danke dem Autor für all die vielen Anregungen, die er mir mit dem Buch mitgegeben hat. *SPOILER/TRIGGER: Bei der Formulierung „Bruder“ und Nutzung des Namens Ali soll es sich keinesfalls um transfeindliche Sprache handeln, ich wollte lediglich den sprachlichen Gebrauch aus der Geschichte aufgreifen und nichts vorwegnehmen.

Ey hör mal! von Gulraiz Sharif sieht auf den ersten Blick vielleicht wie ein kleines unscheinbares Buch aus, doch die Geschichte darin ist so unglaublich intensiv und einnehmend, dass ich dem Buch jede nur erdenkliche Aufmerksamkeit wünsche – denn das hat es mehr als nur verdient!

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