Rezension | Nichts wird wie vorher sein von Sera Milano

Rezension | Nichts wird wie vorher sein von Sera Milano

Titel: Nichts wird wie vorher sein | Originaltitel: This can never not be real | Autor*in: Sera Milano | Übersetzer*in: Birgit Schmitz | Verlag: Carlsen | Erscheinungsdatum: 29.06.2022 | Seitenzahl: 352 | Altersempfehlung: ab 14

Ein Terrorakt – hautnah miterlebt aus Sicht der Opfer: berührend, beklemmend und trotz allem hoffnungsvoll!

Eine Festivalwiese am Abend. Das Gelände ist voller Menschen, auf der Bühne stimmt die Hauptband ihren letzten Song an. Plötzlich fällt ein Schuss. Oder war es ein Feuerwerk? Dann noch ein Schuss. Menschen stürzen zu Boden, Verwirrung macht sich breit. Panik. Todesangst. Durch die Augen von fünf Jugendlichen erleben wir im Rückblick mit, wie der Terroranschlag seinen schrecklichen Lauf nimmt. Ungläubig, angsterfüllt, auf Hilfe hoffend, so taumeln sie durch eine endlose Nacht, bezeugen Gesten des Muts und der Verzweiflung. Die fünf überleben, ja. Aber eins ist klar: Nichts wird wie vorher sein.

Wir können nie mehr so tun, als wären wir sicher. Nichts wird mehr wie vorher sein, und das macht mir Angst. Aber noch mehr fürchte ich mich davor, dass ich der Angst erlaube, mich vom Leben abzuhalten. Ich werde leben. 

Die eine Nacht, die alles verändert: Fünf junge Menschen erzählen von einem Anschlag, voller Angst und Wut, voller Trauer und Hoffnung.

Eine Geschichte, die man nicht so schnell vergisst – spannend wie ein Thriller, intensiv wie ein Kammerspiel, aufwühlend wie ein Tagebuch

Vielen Dank an den Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars!

Bei dem Buch handelt es sich um das, welches ich aus dem Verlagsprogramm von Carlsen wohl am sehnsüchtigsten erwartet und auf das ich wirklich gespannt war.

Wenn aus Albtraum Realität wird

Amokläufe, Terroranschläge – wir alle kennen diese Meldungen aus den Medien und so schlimm das Grauen auch immer erscheint, sind wir uns irgendwo im Inneren doch meist sicher, dass wir davon verschont bleiben werden. So ging es auch den Jugendlichen in dieser Geschichte, generell steht ihnen noch ihr ganzes Leben bevor und genau so sollte es ja auch sein.
Ein jährliches Festival, dass nicht nur für die Schüler*innen, sondern auch für deren Familien gedacht ist. Eine große Feier, auf der alle ihren Spaß haben.
Doch das gut geschützte Anwesen mit nur einem Ein- bzw. Ausgang wird ihnen allen auf einmal zum Verhängnis, als der erste Schuss fällt.

Um erst einmal die Dynamik der Geschichte greifen zu können, brauchte ich ein wenig. Sie wird nämlich aus fünf Perspektiven, jeweils anwesenden Jugendlichen beschrieben und das in einem schnellen Wechsel. Manchmal ist ein Eindruck nur ein Satz und schon switcht man als Leser*in zum nächsten Charakter. Am Anfang ist es mir dadurch teils schwergefallen, alle richtig zuzuordnen.
Im Nachhinein muss ich diesen Stil aber loben, weil er gut zur Story passt und die gehetzte Schnelllebigkeit gut wiedergibt. Und so wird man gemeinsam mit all den Menschen überrumpelt, die ihre Situation noch gar nicht begreifen können und wollen. Ein Schockmoment, aus dem man eigentlich gar nicht erwachen möchte, weil die Realität zu schlimm ist.

Für die Opfer & die Überlebenden

Alle Charaktere sind durchweg in Bewegung und so bekommt man einen ziemlich detailreichen Eindruck vom ganzen Geschehen auf dem Gelände. Und wohingegen man Elli, Violet, Peaches und Joe schon gleich zu Beginn verfolgt, kommt Mai erst später hinzu.
Die Charaktere könnten kaum anders sein, haben auch nicht die allzu verknüpften Beziehungen zueinander, was sich nach diesem unbegreiflichen Ereignis aber ändert.
Wer hingegen gar nicht zu Wort kommt sind die Täter*innen. Ich habe gerade als Thriller Leserin gemerkt, dass ich doch oft die Sichtweisen von Täter*innen erklärt und präsentiert bekomme und so dachte ich mir, dass es hier bestimmt auch aufkommen wird. Und natürlich kommt auch bei den Betroffenen die Frage auf: WIESO?
Doch Sera Milano hat sich hier klar dafür ausgesprochen, dass es keine Rolle spielt, wieso. Denn es gibt keine Antwort darauf, die solch ein Szenario erklären, geschweige denn rechtfertigen würde. Und so bleiben die Täter*innen im Dunkeln und die Stimme gehört den Opfern und Überlebenden.

Dass es sich hierbei um keine leichte Kost handelt, ist sicherlich keine große Überraschung. Ich weiß, dass ich beim Lesen immer sehr emotional bin, wodurch ich mich zwischendurch gewundert hatte, wieso nicht schon längst die Tränen fließen. Aber es bleibt einfach gar keine Zeit dafür. Es ist ein anhaltender Überlebenskampf, den man dort verfolgt und zum Durchatmen bleibt gar nicht die Zeit.
Bis es dann irgendwann ein Ende findet und alles über einen hereinbricht. Und ja, da konnte ich dann einfach nicht mehr an mich halten. Gerade auch das Danach zu sehen, was leider kein Happy End war, war umso realistischer und schmerzhafter. Ich konnte am Anfang überhaupt nicht einschätzen, wie sensibel diese Umsetzung wird oder auch nur, was ich selbst für Ansprüche und Erwartungen habe. Doch das Gesamtwerk hat mich auf jeden Fall tief bewegt. Und auch, wenn es sich makaber anhört: die Geschichte ist einfach gut und spannend geschrieben. Dafür muss man sich nicht schämen, denn genau das verhilft meiner Me9inung dazu, dass das Gelesene auch mehr im Kopf bleibt und bewegt.

Um sich dem Terrorismus zu widersetzen, müssen wir das beste Leben führen, das wir haben können, und so viele Menschen lieben, wie nur möglich. Das wünsche ich uns allen.

Sera Milano | Nachwort aus „Nichts wird wie vorher sein“

Sera Milano hat hier eine sehr einnehmende und bewegende Geschichte geschrieben, die tief unter die Haut geht und die man auch mit Bedacht lesen sollte. Zugleich spannend und gut geschrieben – vor allem aber wirkt es einfach authentisch und das ist es, was so furchteinflößend ist. Zeitgleich öffnet die Geschichte und ihre Herangehensweise noch einmal einen wichtigen Blickwinkel, den wir niemals vergessen sollten.

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3 comments found

  1. Hallo Jill,

    danke für diese gute Rezension!

    Da muss ich direkt daran denken, dass in den USA gerade die Gerichtsverhandlung zum Schulmassaker von Parkland im Jahr 2018 läuft. (Die war eigentlich schon für 2020 geplant, wurde aber wegen COVID verschoben.) Die wird live übertragen, man kann sich also auch die Zeugenaussagen der überlebenden Schüler:innen und Lehrer:innen anschauen. Da habe ich ein paar Mal reingeschaut, weil ich glaube, dass es wichtig ist, den Opfern eine Stimme zu geben, es aber nicht lange ausgehalten. Es ist allzu deutlich spürbar, dass das Leben für diese Menschen nicht mehr dasselbe ist wie vor dem Amoklauf. Jetzt geht es darum, ob der Amokschütze lebenslang ins Gefängnis kommt oder die Todesstrafe erhält, und das ist natürlich noch mal ein ganz anderes Minenfeld.

    Vor 27 Jahren wurde eine Freundin von mir ermordet, und da lief ein Bruch durch mein Leben. Es war, als wäre die Welt von einer Sekunde auf die andere nicht mehr dieselbe. Aber ich habe es nicht miterleben müssen, ich war nicht dabei, deswegen denke ich, dass es für Menschen, die einen Amoklauf erleben, noch tausendmal schlimmer sein muss.

    Aber zurück zum Buch: Es klingt so, als habe die Autorin das Thema sehr stimmig und sensibel behandelt.

    LG,
    Mikka

    1. Liebe Mikka,
      ein großes Dankeschön vorab für deine Offenheit, die du hier teilst. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was solch eine Erfahrung mit einem macht und kann dir nur mein tiefes Beileid aussprechen. Das ist mit Sicherheit etwas, das einen das ganze Leben lang begleitet.
      Zu der Verhandlung bzgl Parkland – es ist einfach so erschütternd. Und auch hier kann ich mich dir nur anschließen – die Todesstrafe ist einfach nochmal ein ganz anderes Thema.
      Und ja, ich kann das natürlich nicht als Betroffene beurteilen, für mich hatte es aber das Gefühl, dass die Autorin sich über ihren Umgang mit dem Thema viele Gedanken gemacht hat. Nichts wird beschönigt und den Täter*innen keine unnötige Bühne geboten.

      Liebe Grüße
      Jill

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