Rezension | Stamped von Jason Reynolds & Ibram X. Kendi

Rezension | Stamped von Jason Reynolds & Ibram X. Kendi

Titel: Stamped – Rassismus und Antirassismus in Amerika | Originaltitel: Stamped – Racism, Antiracism and You | Autor*in: Jason Reynolds & Ibram X. Kendi | Übersetzer*in: Anja Hansen-Schmidt & Heike Schlatterer | Verlag: dtv | Erscheinungsdatum: 17.09.2021 | Seitenzahl: 256

Von Amerikas Anfängen bis Barack Obama

Mehr als 150 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei in den USA herrscht in vielen Bereichen des Lebens immer noch keine Gleichberechtigung zwischen Schwarz und Weiß. Wo liegen die Wurzeln des Rassismus? Wie kommt es, dass er wie ein Stachel tief in der Seele der USA sitzt? Anschaulich und fundiert erzählen Jason Reynolds und der Historiker Ibram X. Kendi die Geschichte des Rassismus und Antirassismus in Amerika. Sie zeigen, wie rassistisches Denken immer auch als Rechtfertigung für weiße Privilegien eingesetzt wurde, und geben eindrucksvolle Beispiele des Antirassismus. Ein zorniges Buch, manchmal hoffnungsvoll, immer engagiert, fesselnd und unterhaltsam.

Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Seitdem ich Jason Reynolds vor ein paar Jahren für mich entdeckt habe, freue ich mich auf jedes weitere Werk des Autors. Doch gerade hier, in seiner Zusammenarbeit mit Ibram X. Kendi, war ich ganz besonders gespannt auf das Ergebnis.

Dies ist kein Geschichtsbuch, sollte es aber sein

2017 hat Ibram X. Kendi sein Buch Stamped from the Beginning (Im Deutschen Gebrandmarkt) veröffentlicht und damit ein unglaublich starkes und wichtiges Werk auf den Markt gebracht, dass sich mit den Wurzeln des Rassismus und wie sehr diese immer noch in unserer Gesellschaft verankert sind beschäftig. Genau dieses Werk hat sich nun Jason Reynolds vorgenommen, um daraus ein leichter zugänglicheres Buch, gerade auch für jüngere Leser*innen zu schaffen.
Die deutsche Ausgabe hat noch ein Vorwort von Alice Hasters, die sich hier stark gegen Rassismus und Diskriminierung und für Aufklärung auf Aufarbeitung einsetzt.

Das Lustige ist, dass Jason Reynolds in diesem Buch immer wieder erwähnt, dass es sich um kein Geschichtsbuch handelt, doch genau das sollte es meiner Meinung nach sein. Viel zu lange hat die weiße Gesellschaft das Thema Kolonialisierung totgeschwiegen und dazu beigetragen, dass sich die rassistischen Strukturen nicht wirklich verändern. Es ist alles andere als eine leichte Geschichte, schon allein, weil sie vor über 500 Jahren begonnen hat. Viele bekannte Größen diese gefördert und immer wieder neu entfacht haben und Millionen von Menschen darunter leiden mussten und es immer noch tun. Doch mit der Dringlichkeit und seiner verständlichen Art, wie der Autor es sonst auch tut, schafft er es all diese Punkte hier zusammenzuführen und Leser*innen die Augen zu öffnen.
Es liest sich überhaupt nicht wie eine fade Aneinanderreihung von geschichtlichen Daten, sondern wie eine wichtige Geschichte, die endlich gehört werden muss.

Die Antirassisten versuchen, den Rassismus zu ändern. Assimilationisten versuchen, Schwarze Menschen zu ändern. Segregationisten versuchen, sich von Schwarzen Menschen fernzuhalten.

„Stamped“ Ibram X. Kendi

Natürlich klärt das Buch auf und gibt seiner Leserschaft einiges mit, so auch gleich zu Beginn den Unterschied der drei großen Akteure in dieser Geschichte: Antirassisten, Assimilationisten und Segregationisten.
Und schnell wird klar, es gibt nur einen Weg und das ist der Antirassismus. Dennoch ist es wichtig und auch interessant, welche Menschen zu den anderen Kategorien zählen, ob nun aus ihren Privilegien heraus oder auch, weil es für sie anfänglich so schien, der einzige Weg zu sein.
Es ist wichtig, dass wir Politiker*innen, Aktivist*innen und andere Bekanntheiten nicht immer nur für das feiern, was sie eventuell einem Anteil der Gesellschaft gebracht haben, sondern auch das zu sehen, was sie Menschen angetan haben.

Unsere Gesellschaft hat es nicht nur geschafft, Weiße Menschen davon zu überzeugen, dass sie etwas Besseres wären, sondern auch Schwarzen Menschen genau dies glauben zu müssen. Es gibt keine Grundlage für Rassismus, es ist ein Konzept, das sich irgendwann jemand ausgedacht hat, um sich zu bereichern und so wurde es von anderen Menschen weitergeführt, die sich daran bereichern konnten. Diese Vorurteile existieren in unseren Köpfen und wir schaffen es tatsächlich ihnen Leben einzuhauchen. Und um diesen Teufelskreislauf, diese rassistischen Strukturen endlich zu durchbrechen, müssen wir unsere Geschichte aufarbeiten unsere Denkmuster durchbrechen und endlich laut werden.

Ich ließ mich von rassistischen Ideen täuschen, daher war mir nicht richtig klar, dass das Einzige, was mit Schwarzen Menschen nicht stimmt, der Gedanke ist, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Mir war auch nicht richtig klar, dass das Einzige, was an Weißen Menschen außergewöhnlich ist, die Vorstellung ist, sie wären tatsächlich außergewöhnlich.

„Stamped“ Ibram X. Kendi

How to be an Antiracist

Natürlich wäre es schön, wenn wir „nur“ dieses Buch lesen müssten und das Rassismus Problem wäre gelöst.
Und natürlich ist es nicht so einfach, doch genau mit solchen Geschichten fängt es an.
In Stamped erzählt Jason Reynolds nicht nur wohl ersten Rassisten – Gomes Eanes de Azurara – der die Geschichte verbreitete, dass Afrikaner wilde Tiere seien, die gezähmt werden mussten.
Sklaverei gab es zwar vorher schon, doch nun gab es dafür auch noch einen Schulterklopfer, weil die Weißen Menschen damit auch noch etwas Gutes taten. Jetzt denken vielleicht manche, dass diese Zeiten ja lange vorbei wären, nein, sie sind es eben nicht und genau darin liegt das Problem. Der tiefsitzende Gedanke hinter dieser abscheulichen Aussage bleibt weiterhin bestehen. Und jetzt denkt nochmal daran, dass dies einfach so, komplett haltlos in die Welt gesetzt wurde und Jahrhunderte später besteht das Konstrukt Rassismus weiterhin.

Doch dies war leider nur der traurige Anfang und immer wieder haben sich Weiße Menschen diese „Philosophie“ zu eigen gemacht, um sich bereichern und besser fühlen zu können. Bekannte Präsidenten, um weiter an der Macht zu bleiben. Es scheint eine nie endende grausame Geschichte zu sein, doch um das Alles endlich durchbrechen zu können, muss man eben auch wirklich verstehen.

Alicia Garza, Patrisse Cullors und Opal Tometi gründeten #BlackLivesMatter als direkte Reaktion auf diesen Rückfall in den Rassismus, der sich in Form von Polizeigewalt äußerte. Entstanden im Denken und im Herzen dieser drei Schwarzen Frauen – von denen zwei LGBT sind – war diese Liebeserklärung ein Signal, dass man sich, wenn man wirklich antirassistisch sein will, auch gegen alle Formen von Sexismus, Homophobie, Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, Ethnozentrismus, kulturellen Vorurteilen und Klassendenken werden muss, denn all diese Haltungen gedeihen mit dem Rassismus und richten im Leben so vieler Menschen großen Schaden an.

„Stamped“ Jason Reynolds

Doch die Geschichte fasst auch eben all die starken Menschen zusammen, die laut geworden und sich dagegen gewährt haben. Und das obwohl es sie oft das Leben gekostet hat und sie das vorher wussten.
Jason Reynolds spricht einen weiteren wichtigen Punkt an: Feminismus. Es geht dabei zum einen darum, dass die Situation von Schwarzen Frauen lange gar nicht im Fokus stand, aber auch darum, dass wenn du antirassistisch bist, ebenso gegen jegliche Diskriminierung eintreten musst. Und meiner Meinung auch umgekehrt. All die Ismen gehen Hand in Hand und bereichern sich gegenseitig, wir können nicht das eine belächeln und das andere als wichtiger einstufen. All die Diskriminierung und die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft fressen die Menschen auf und müssen gleichermaßen zerschlagen werden.

Es ist nicht immer leicht Ungerechtigkeit dort zu erkennen, wo sie einen nicht selbst trifft, aber dafür umso wichtiger.
Im 20. Jahrhundert erließ Präsident Reagan ein Präsidialdekret – ein Kampf gegen Drogen. Klingt nicht verwerflich, oder? Doch dahinter steckte einzig und allein die Intention, kleine Dorgendelikte im Zusammenhang mit Marihuana mit erhöhten Gefängnisstrafen zu verurteilen. Na, ahnt ihr schon, worauf das hinausläuft? Richtig.
Und wenn Schwarze Menschen erst einmal im Gefängnis landeten, dass war der Weg hinaus alles andere als leicht.
Später verabschiedete er noch den Anti-Drug Abuse Act (Gesetz gegen Drogenmissbrauch).
Das führte dazu, dass wenn ein Mensch mit fünf Gramm Crack erwischt wurde (25-Cent Münze), landete dieser jemand, natürlich zumeist Schwarz, für fünf Jahre im Gefängnis.
Wurde ein andere Mensch mit 500 Gramm Kokain (Ziegelsteingroße Menge – gleiche Droge, nur in andere Form) erwischt, landete dieser ebenfalls für fünf Jahre im Gefängnis.
Welches Szenario hat wohl eher auf Schwarze oder arme Menschen zugetroffen und welches eher auf Weiße?

Auch diese Strukturen ziehen sich in unserer Gesellschaft weiter durch, Schwarze Menschen werden wesentlich öfter kontrolliert als Weiße, die Gefahr als Schwarzer Mensch Polizeigewalt zu erleiden und zu Unrecht bestraft zu werden ist wesentlich höher als die eines Weißen. Es gibt etliche Diskriminierungsfälle im Alltag und ungerechte Behandlungen, Vorurteile und vieles mehr. Und nun die Frage: Wieso? Es ist nicht immer leicht, erlerntes wieder zu verlernen. Doch wir sollten uns fragen, was für Menschen wir sein wollen.

Es geht immer um die Frage, ob ihr, liebe Leserinnen und Leser, Segregationisten (Hater), Assimilationisten (Feiglinge) oder Antirassisten (Leute, die ihre Mitmenschen wirklich lieben) sein wollt.
Die Entscheidung liegt bei euch.
Nicht ausrasten.
Einfach tief einatmen. Atem holen. Den Atem halten. Und jetzt langsam ausatmen:
JETZT.

„Stamped“ Jason Reynolds

Mit Stamped hat sich Jason Reynolds dem starken Werk von Ibram X. Kendi angenommen und dieses nun für junge Leser*innen neu geschrieben. Es wird zwar oft erwähnt, dass dies kein Geschichtsbuch ist, doch meiner Meinung nach sollte es genau das sein. Eine Aufarbeitung der Kolonialisierung, den ersten rassistischen Strukturen über Jahrhunderte bis heute – welche Bedeutung dahinter steckt und wer wir wirklich sein wollen.

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