Rezension: Den Mund voll ungesagter Dinge / Anne Freytag
Ich starre ins Nichts und fragte mich, was ich jetzt tun soll. Und wie ich das tun konnte.
Dieses Mal habe ich nicht einfach nur einen Fehler gemacht.
Ich habe uns kaputt gemacht.
Verlag: Heyne fliegt
Erscheinungsdatum: 06.03.2017
Seitenzahl: 400
Altersempfehlung: ab 14
Wenn Sophie es sich aussuchen könnte, wäre ihr Leben simpel. Aber das ist es nicht. Und das war es auch nie. Das fängt damit an, dass ihre Mutter sie direkt nach der Geburt im Stich gelassen hat. Und endet damit, dass Sophies Vater plötzlich beschließt, mit seiner Tochter zu seiner Freundin nach München zu ziehen. Alle sind glücklich. Bis auf Sophie.
Was hat es bloß mit dieser verdammten Liebe auf sich? Sophie selbst war noch nie verliebt. Klar gab es Jungs, einsam ist sie trotzdem. Bis sie in der neuen Stadt auf Alex trifft. Das Nachbarsmädchen mit der kleinen Lücke zwischen den Zähnen, den grünen Augen und dem ansteckenden Lachen. Zum ersten Mal lässt sich Sophie voll und ganz auf einen anderen Menschen ein. Und plötzlich ist das Leben neu und aufregend. Bis ein Kuss alles verändert.
Als ich das Buch bei meiner Aktion SuB Sunday vorgestellt habe, konnte ich scheinbar auch meine liebe Sarah von dem Buch überzeugen, kurzer Hand hat sie es sich nämlich auch gekauft und wir haben ausgemacht, es gemeinsam zu lesen.
Ziemlich auf den letzten Drücker haben wir es dann noch am letzten Tag im September begonnen, und da ich glücklicher Weise auch die Zeit hatte, konnte ich es in einem Schwung lesen und somit auch von meiner WTR-Liste streichen.
Sie legt ihre Hand auf meine, ich schaue hoch, direkt in ihre Augen. Dieses klare Grün, das wässrig glänzt wie die Oberfläche eines Sees. „Aber wie könnte es ohne dich perfekt sein?“
Gleich zu Beginn fällt man einfach in die Geschichte, da Anne Freytag mal wieder mit ihrem bezaubernden und einnehmenden Schreibstil fesselt. Zum einen so leicht aber doch zeitgleich auch so tiefgehend, konnte ich das Buch wieder genauso genießen, wie Mein bester letzter Sommer.
Ich muss sogar sagen, dass mir auf die Schnelle keine andere Jugendbuchautorin einfällt, die so unglaublich gut mit Worten umgehen kann, dass auch die Kleinigkeiten im Leben so ungemein an Bedeutung gewinnen.
Bereits vor dem Lesen wusste ich schon, dass hier die Meinungen sehr auseinandergehen. Die einen vergöttern das Buch, viele jedoch kritisieren den Umgang der Autorin mit der LGBQT-Thematik.
Somit war ich ungemein gespannt und wollte mir selbst ein Bild davon machen.
Und ja, ich kann durchaus nachvollziehen, welche Aspekte dem einen oder anderen Leser hätten aufstoßen können. Ich für meinen Teil habe diese Punkte aber als „normal“ erachtet. Es geht hier um keine reife Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht, sondern vielmehr um ein Mädchen, das auf einmal Entscheidungen treffen muss, die ihr Leben verändern und versucht sich selbst zu finden.
Da es nun einmal leider immer noch nicht von der Gesellschaft als „normal“ angenommen wird, weiß der Teufel wieso, so kann ich schon nachempfinden, dass gerade jemand, der sowieso schon mit all den Zweifeln der Pubertät zu kämpfen hat, sich auch hierüber den Kopf zerbricht.
Bei einem Interview mit Anne Freytag selbst, hat die Autorin auch ein Statement dazu gegeben. Die Charakterkonstellation hat sich während des Schreibens geändert, Sophie und Alex gab es von Anfang an, nur dass ihr die Geschichte nie ganz stimmig erschien, bis ihr aufgefallen ist, dass Alex vielleicht einfach kein Junge sein soll.
Und wisst ihr was? Genau das hat mir so gut gefallen. Natürlich wurde es auch teilweise als Problematik angesprochen, aber nur aus Sophies Sicht. Das Hauptaugenmerk in der Geschichte lag aber einfach auf den Gefühlen, die sich zwischen zwei Teenagern gebildet haben und die beide ihren Platz im Leben finden wollen.
Und ich gebe es ja nur sehr ungern zu, weil es so traurig und langweilig ist, aber irgendwie ist normal zu sein auch beruhigend. Weil man kein einzelner Fisch, sondern Teil eines riesigen Schwarms ist. Weil man Deckung und Schutz in der Masse findet. Weil man weiß, dass man nicht allein ist.
Ich liebe wirklich jeden einzelnen Charakter in der Geschichte, alles wird so gut ausgeschmückt und wirkt unglaublich authentisch. Vor allem auch Lena, Sophies Stiefmutter hat mich sehr berührt, so viel Einfühlungsvermögen wurde hier in den Charakteraufbau gelegt, das mir des Öfteren die Tränen kamen.
Obwohl es sich hier grundlegend um die typischen Phasen handelt, die so gut wie jeder auf dem Weg zum Erwachsenwerden durchlebt, wird diese Geschichte mit so viel Empathie wiedergegeben, das sie zu etwas ganz Besonderem wird.
Von der ersten bis zur letzten Seite eine unterhaltsame, traurige, starke und vor allem nachhaltige Geschichte.
Ich habe den Mund voll ungesagter Dinge. Und ganz gleich, wie oft ich sie runterschlucke, sie kommen jedes Mal zurück. Manchmal wünschte ich, sie würden endlich überlaufen. Aber dann lasse ich es doch nicht zu.
Bei Den Mund voll ungesagter Dinge handelt es sich um eins der Bücher, bei dem man sich nach dem Lesen fragt, wieso man so lange damit gewartet hat.
Anne Freytag überzeugt mit ihrem grandiosen Schreibstil und sympathischen, wie auch authentischen Charakteren. Ein Jugendbuch, das nachhaltig in Erinnerung bleibt und das ich wirklich jedem nur ans Herz legen kann.
Die vielen Kritikpunkte, die an dieses Werk geäußert wurden, kann ich zwar im Ansatz irgendwo nachvollziehen, aber keineswegs teilen.
LESEPROBE? KAUFEN!
AUCH REZENSIERT VON: Bücherschmöker Buchhaim Beccas Leselichtung
12 comments found