Rezension: Schloss aus Glas / Jeannette Walls | Zwischen Faszination und Erschütterung

„Wohin fahren wir denn, Dad?“, fragte ich.
„Dahin, wo wir landen.“, sagte er.

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas  |  Originaltitel: The Glass Castle  |  Autor: Jeannette Walls  |  Übersetzt von: Ulrike Wasel; Klaus Timmermann  |  Verlag: Diana Erscheinungsdatum: 21.08.2017  |  Seitenzahl: 400

Jeannette Walls ist ein glückliches Kind: Ihr Vater geht mit ihr auf Dämonenjagd, holt ihr die Sterne vom Himmel und verspricht ihr ein Schloss aus Glas. Was macht es da schon, mit leerem Bauch ins Bett zu gehen oder in Nacht-und-Nebel-Aktionen den Wohnort zu wechseln. Doch irgendwann ist das Bett ein Pappkarton auf der Straße, und eine Adresse gibt es schon lange nicht mehr.
Jeannette Walls berichtet ohne Larmoyanz von ihrer ungewöhnlichen Kindheit in einer Familie, die man sich verrückter nicht vorstellen kann.

Als der Film letztes Jahr in den Kinos angelaufen ist, hatte mich zwar der Trailer schon neugierig gemacht, aber irgendwie ist die Geschichte dann doch wieder in Vergessenheit geraten.
Dann bin ich über das Buch gestoßen und habe mich wahnsinnig gefreut, es vom Verlag zugesandt bekommen zu haben – vielen Dank dafür.

Bereits vor dem Lesen hatte ich mich auf eine traurige Geschichte und gewiss keine leichte Kost vorbereitet, was mich aber dann erwartet hat, hätte ich nicht gedacht.
Jeannette Walls hat mit Schloss aus Glas ihre Kindheit, ihre Familie und eine ganz eigene Lebensform in Worte gefasst, die ich ohne dieses Werk niemals begriffen hätte.
Abgeschottet von gesellschaftlichen Regeln führen ihre Eltern ein Leben, das teilweise einem wilden Abenteuer gleicht, jedoch alles andere als sicher für sie und ihre Geschwister ist.

Es gab so viele Szenen, die mich einfach erschüttert haben, ein Gewicht, das sich auf die Brust legt und einen nicht mehr richtig atmen lässt. Von Kindesgefährdung bis hin zu absoluter Vernachlässigung.
Den berüchtigten Rex wollte ich einfach nur noch schütteln, von der Mutter fange ich lieber gar nicht erst an. Doch dann kamen auch wieder Situationen, die so unglaublich gefühlvoll und voller Liebe waren, dass man jegliche Schrecken kurzzeitig vergessen konnte. Denn wer geht mit seinen Kindern schon auf Dämonenjagd, um die gruseligen Gestalten unter dem Bett zu verjagen? Schenkt ihnen die Sterne und Planeten vom Himmel, um nie in Vergessenheit zu geraten? Oder möchte ihnen gar ein Schloss aus Glas, den ganz eigenen Palast bauen?

Man hätte meinen können, dass sie sich vor lauter Erleichterung darüber, sich nicht gegenseitig umgebracht zu haben, wieder frisch ineinander verliebt haben.

Doch leider überwiegen die negativen Momente und Aspekte des Lebens der Familie Walls. Jeannette und ihre Geschwister müssen viel zu früh Verantwortung für sich selbst übernehmen, leben unter furchtbaren Umständen und scheinen nie irgendwo anzukommen.
Von einer Bruchbude in die nächste, ohne Essen, laufendes Wasser und einer Nachbarschaft, bzw. Mitbewohnern, bei denen jegliche Alarmglocken losgehen – erschaudern ist gar kein Ausdruck.
Doch was passiert, wenn die Eltern ihr eigenes Wohl über das ihrer Kinder stellen? Wenn sie ihre Kinder „fordern“, um ihnen mehr Möglichkeiten im Leben zu bieten? Ab wann ist das alles nur eine reine Ansichtssache, eine Entscheidung der Erziehung und ab wann überschreitet es Grenzen?

Wie diesen vier kleinen Knirpsen das Überleben gelungen ist, stellt sich für mich schon als ein Wunder heraus. Wieviel im Kopf eines kleinen Menschen vor sich gehen kann, was für Entwicklungen durchgemacht werden und zu welchen Erkenntnissen sie kommen ist einfach erstaunlich.
Die mit Abstand interessanteste und bewegendste Biografie, die ich je gelesen habe. Die Autorin hat es geschafft, dass ich das Gefühl hatte, meinen eigenen Empfindungen nicht mehr zu trauen.

Schloss aus Glas bietet eine Geschichte, wie ich sie niemals erwartet hätte. Ein Leben, das wild und ungezähmt ist, mich fasziniert und gleichzeitig erschüttert hat. An manchen Stellen wusste ich nicht recht, ob ich lachen oder weinen sollte. Weiterlesen, um zu erfahren, was aus Jeannette geworden ist, oder das Buch zuschlagen, aus Angst, dass es mir nicht gefallen könnte.
Ein erstaunliches Lebenswerk, das ich jedem nur empfehlen kann.
Eine Geschichte, die einem die Augen öffnet und eine Weitsicht bietet, die einem sonst wohl verwehrt bleibt.

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10 comments found

  1. Liebe Jill, eine tolle Rezension zu einem sehr interessanten Buch, das höchstwahrscheinlich auch mich auf eine Achterbahnfahrt katapultiert. Werde es mir auf jeden Fall bestellen! Danke 😀

  2. Interessant zu lesende Besprechung. Ich habe das Buch schon gelesen, als es gerade herausgekommen war, 2005? Schon damals war es natürlich ein Schocker. Toll geschrieben. ich habe es jetzt auch wieder in der neuen Ausgabe für meine Bücherei gekauft.

    1. Genau, 2005. Davor ist die Geschichte allerdings total an mir vorbeigegangen…
      Für unsere Bibliothek müssen wir es auf jeden Fall auch noch kaufen! Ich finde hier auch die Filmausgabe sehr ansprechend, was ja auch nicht immer der Fall ist.

  3. Liebe Jill,

    Bisher hatte ich noch nichts von dem Buch oder dem Film mitbekommen. So ganz meinem Interesse entspricht das zwar nicht, aber das ist etwas, was meiner Mutter sehr gut gefallen könnte 🙂
    Deswegen auf jeden Fall danke für den Tipp

    Liebste Grüße
    Jenny

    1. Liebe Jenny,

      man kann ja auch nicht alles mögen 😉
      Dafür freut es mich umso mehr, dass ich dennoch dein Interesse wecken konnte!
      Falls deine Mama es lesen sollte, hoffe ich, dass es ihr auch so gefallen wird.

      Liebste Grüße <3 Jill

  4. Hallo Jill!

    Wow. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Buch alles andere als leichte Kost ist. Gehört hatte ich – bevor ich das Buch hier bei dir gesehen habe – noch nie was davon. Ich bin mir auch mehr als unsicher, ob ich es je lesen werden, ich glaube, die Angst, es wäre zu viel, ist einfach zu groß …
    Aber wer weiß. Wir wachsen mit jedem Buch das wir lesen, nicht wahr?

    Liebste Grüße,
    Wiebi

    1. Liebe Wiebi,

      ich glaube so ging es tatsächlich vielen!
      Freut mich aber sehr, dass ich da vielleicht ein minibisschen entgegenwirken konnte, hihi.
      Ich war mir am Anfang auch eher unsicher, aber ich habe es keinesfalls bereut.
      Du sagst es – machnmal überrascht man sich mit den Geschichten selbst 😉

      Liebste Grüße <3 Jill

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